Der Amateur

12. January 2016

Bühne Ruedi Häusermann (67) hat das Musiktheater neu definiert. Ab morgen zaubert der Regisseur und Musiker im Zürcher Schiffbau

Man stelle sich vor, Ruedi Häusermann hätte Mitte Zwanzig doch nicht das Gleis gewechselt. Angenommen, er wäre fadengerade in der aufgegleisten Karriere eines studierten Ökonomen weitergerollt.

Das Musiktheater hätte er dann kaum revolutionieren können. Aber Prokurist wäre er sicher auch nicht geworden. Seine geistige Unruhe hätte aus ihm wahrscheinlich einen dieser kreativen Manager gemacht. Die unter hohem Risikoeinsatz Unternehmen gründen oder wilde Umstrukturierungspläne ausbrüten, wie das Häusermann heute über den Partituren seiner Musiktheaterprojekte tut. Bis alles stimmt.

Wäre die Rechnung aufgegangen? «Wahrscheinlich nicht», sagt er und lacht. Im geschützten Theaterraum müsse er keine Kosten und Nutzen maximieren. Hier bringe er mit seinen waghalsigen geistigen Investitionen niemanden in Gefahr. Darüber sei er froh.

In die Musik reingewachsen

Seit Jahrzehnten trägt er seine Ideen von seinem Studio auf dem Lenzburger Goffersberg in die Welt hinaus: in die Theaterhäuser Berlins, Stuttgarts, Wiens, Zürichs und Basels. Hier in Lenzburg hat er als Kind mit seinen Brüdern musiziert, hier hat er in seinem älteren Schulfreund, dem späteren Udo-Jürgens-Bandleader Pepe Lienhard, einen ersten Mentor gefunden.

Seit er die Matur in der Tasche hat, fängt für Häusermann das Leben immer wieder neu an. Auf das Hochgefühl nach einem abgeschlossenen Projekt – bis heute sind es über hundert vorwiegend Ko-Produktionen mit Jazzmusikern, Theatermenschen und Kunstschaffenden, deren Spuren Häusermann schachtelweise auf seinem Dachboden aufbewahrt – kommt die unausweichliche Frage: Wo gehts jetzt hin?

Am Mittwoch zeigt er im Schiffbau sein neues Musiktheater «Piano forte», «ein Konzert, das wir sozusagen spazieren führen, an der langen Leine». Mit dabei: Chor, Schauspieler und ein Klavierquartett – Quartette sind Häusermanns Spezialität. Ist das Projekt abgeschlossen, wird Häusermann, auch mit 67 noch dieses begeisterungsfähige Kind ohne Grenzen im Kopf, sich wieder diese Frage stellen: Wohin jetzt?

Der allererste Anfang ist ihm am schwersten gefallen. Das ans Ökonomiestudium angehängte Querflötenstudium empfand er als anstrengend – «die 17-jährigen Japanerinnen in meinem Kurs spielten zehnmal besser als ich», erinnert er sich. Der Amateur aus Überzeugung brach das Studium kurz vorm Abschluss ab, fand schnell Anschluss in der Praxis. Seine Offenheit für Gebiete, in denen er nur als Amateur auftreten konnte – «ich bin gerne Anfänger» – machte ihn zum Zirkusorchesterleiter, zum Fotografen, zum Fernsehmoderator («Die KlingKlang-Kiste«), zum Open-Air-Gründer – das legendäre Metschgplatsch in Lenzburg leiten inzwischen seine Söhne.

Teil der Marthaler-Familie

Mit dem Künstler Giuseppe Reichmuth, der viele seiner Bühnenbilder schuf, marschierte er in den 1980ern händchenhaltend und als Polizist verkleidet durch Zürich. Häusermann entdeckte den experimentellen Jazz, spielt bis heute in mehreren Formationen, und fand in der Ländlermusik die Erdung für seine abstrakten Projekte. Mit «Kapelle Eidg. Moos» hat er seiner Liebe zum Ländler 2011 ein liebevolles Denkmal gesetzt.

Bei seiner Zusammenarbeit mit Christoph Marthaler lernte er die Vorteile des geschützten Theaterbetriebs kennen. Zwischen 1988 und 1993 wirkte er als Musiker in Marthaler-Produktionen mit, auch im Kultstück «Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab!»

Regisseur wurde er, «ohne auch nur eine Sekunde Regie studiert zu haben», sagt er heute. Anfang der Neunziger, da war er um die Vierzig, hatte Häusermann mit der Vorlaufzeit eines halben Lebens seine Rolle als Theaterregisseur gefunden. Als der damalige Co-Intendant des Theaters Neumarkt, Stephan Müller, ihn zu einem Walser-Abend motivierte mit den Worten: «Du bisch en Walser», fing er an, sich den Werken anderer Künstler wie Karl Valentin, Peter Bichsel, Ferdinand Hodler, Wilhelm Busch oder Paul Scheerbart zu widmen. Aber auch auf den Partituren eines zeitgenössischen Theatertextes von Elfriede Jelinek hat er schon virtuos gespielt («Über Tiere»).

Richtig «gewalsert» hat Häusermann bis zum heutigen Tag vier Mal. Aber das wäre kleinlich gedacht. Denn in jedem Häusermann steckt im Grunde ein bisschen Walser drin: diese Lust, das Nebensächliche ins Zentrum zu rücken. Diese Beruhigung der Welt in der Welt des Theaters. Ein Vorgang, den er mit dem selbstvergessenen Sandburgenbauen eines Kindes vergleicht.

Millionenprojekt im KKL

Manchmal stehen Häusermann die Ideen so klar vor Augen, dass die Ausführung nur noch Formsache wäre. Vor der Eröffnung des KKL in Luzern wollte er 1999 mit Hunderten Beteiligten eine riesige Menschenausstellung organisieren. Samt Freizeitberg und einer im Glaskasten ausgestellten Blaskapelle. Doch dann brach der Fussboden des KKL ein, und das Projekt sollte noch weitere drei Male scheitern. Guy Krneta schreibt in der 2015 erschienenen Häusermann-Retrospektive, das Projekt hätte das Potenzial gehabt, Häusermanns Hauptwerk zu werden. Ist er gescheitert? «Das nicht, aber viele meiner Projekte schon», sagt er lachend. «Sollte jemand die dreieinhalb Millionen zur Verfügung stellen, würde ich es aber noch einmal versuchen.»

«Piano forte» von Ruedi Häusermann. Premiere: 13. 1., Schauspielhaus Zürich, Schiffbau, Box.

Buch Ruedi Häusermann: Umwege zum Konzert. Hrsg. von Judith Gerstenberg. Theater der Zeit 2015.

Ausstellung Umwege zum Konzert. Einsichten in das Schaffen von Ruedi Häusermann. 20./21. 2., Burghaldenhaus Lenzburg

Kapelle Eidg. Moos Kurtheater Baden. 22. 1., 20 Uhr