Liebes Z
Sprachimperialist Putin hat uns das «Z» geklaut. Ist mein Lieblingsbuchstabe noch zu retten? Versuch einer kulturellen Rückeroberung.
Du warst der erste Buchstabe, den ich als Vorschulkind auf ein Blatt Papier gekritzelt habe. Als Abc-Schützin ahnte ich noch nicht, wie viel kriegerisches Potenzial in dir steckt. Dass du in alten Schriften eine Stichwaffe symbolisierst. Dass du Jahrzehnte später mal als Hakenkreuz 2.0 Karriere machen wür- dest. Ich mochte dich wegen deiner kanti- gen, geradlinigen Art. Ganz ohne Hinterge- danken.
Seit man dich auf russischen Panzern gesich- tet hat, bist du plötzlich ein Kriegssymbol. Putin hat dich aus unserem Alphabet geklaut und zu seinem Schlachtabzeichen gemacht. Das russische Verteidigungsministerium behauptet, du stehest für die Slogans «Für die Unsrigen», «Für den Frieden» und «Für den Sieg». Die kulturelle Aneignung des «Z» durch die Russen, die dich in ihrem kyrilli- schen Alphabet nicht kennen, hat dazu geführt, dass man dich jetzt auf Hoodies und Plakate druckt und alberne Flashmobs organisiert, bei denen man sich stramm in deinen Dienst stellt.
Das löst nicht nur bei mir Unbehagen aus. Beim Snacken von Zweifel-Chips kommen nun Zweifel auf. Das Zürcher Café Z am Park ist plötzlich ein Idyll mit komischem Bei- geschmack, der Newsletter «Z+» der seriö- sen «Zeit» wirkt plötzlich hochverdächtig. Vielleicht liegt es daran, dass du, liebes «Z», in der deutschen Sprache schon immer untervertreten warst. Du fällst auf. Men- schen, die einen Vornamen tragen, der mit «Z» beginnt, vergisst man so schnell nicht wieder.
Müssen Autoren wie Fritz Zorn, Émile Zola und Carl Zuckmayer in eine andere Ecke des Bücherregals eingeordnet werden? Ist die Generation Z verloren? Müssen Künstler und Bands wie Jay-Z und ZZ-Top, die sich mit Schweiss und Tränen ein Leben als Marke erarbeitet haben, vor dem russischen Sprach- imperialismus kapitulieren?
Manche Firmen haben bereits das getan: Die Zurich-Versicherung verzichtet auf dich bei ihren Social-Media-Auftritten. «Zurich» steht auf Instagram, Twitter und Facebook nun ausgeschrieben auf blauem Grund. Grafikdesigner dürften sich beim Anblick dieses gebastelten Not-Logos in ihrer Berufs- ehre gekränkt fühlen. Samsung hat dich in einigen Ländern aus der Produktbezeich- nung seiner faltbaren Smartphones gestri- chen. Schon die Brauerei Carlsberg musste in den 1930ern wegen der Nazis auf ihr Swastika-Logo verzichten.
Trotzdem sollte Rückzug nicht die einzige Reaktion auf Putins Sprachimperialismus bleiben. In Symbolen überlagern sich die verschiedensten Bedeutungsebenen. Mit ein Grund, warum Hindus und Buddhisten bis heute dafür kämpfen, dass man die Swastika als das Glückssymbol anerkennt, das es über viele Jahrhunderte war.
Trotz deiner zackigen Physiognomie bist du nämlich, liebes «Z», das friedlichste Zeichen überhaupt. In Comic-Bubbles markierst du schnarchende Helden und Bösewichte, die im Tiefschlaf eine Feuerpause einlegen. Zorro, dieser Anwalt der Unterdrückten, der das «Z»-Zeichen mit seinem Degen in die Haut seiner Gegner ritzt, hätte sich Putin wohl am liebsten persönlich vorgeknöpft. Zorro ohne Z? Was von dem Helden dann übrig bleibt, wissen wir, seit der deutsche Komiker Otto Waalkes in den 1990er-Jahren als tollpatschi- ge Zorro-Parodie «Orro» durchs Fernsehen geisterte. Bitte nicht noch mal!
Die beliebte franko-belgische Comicserie «Spirou und Fantasio» versammelt unter deinem Namen eine Reihe Bösewichte, die Putin in nichts nachstehen würden. Man nehme nur Fantasios machtbesessenen Cousin Zantafio. Erst macht er als Diktator Karriere und verbreitet Fake News über seinen Cousin. In der Folge «Spirou in Mos- kau» will er der neue Zar von Russland werden. Auch der narzisstische Wissenschaf- ter Zyklotrop trägt putinsche Züge: Er leidet unter einem Minderwertigkeitskomplex, den er mit Welteroberungsfantasien auszuglei- chen versucht. Seine Armee besteht aus sogenannten Zyklomännern, eine willenlos gemachte Sklaventruppe. Die Zeitung «Die Welt» merkte kürzlich an, dass diese Zyklo- männer alle ein weisses «Z» auf ihrer Brust tragen. Es sehe so aus wie das mit Tape-Band gebastelte «Z», das der russische Turner Iwan Kuliak sich bei einer Siegerehrung im katarischen Doha auf sein Leibchen geklebt hatte.
Auch der Oscar-prämierte Film «Z – Anato- mie eines politischen Mordes» (1969) und die literarische Vorlage des griechischen Autors Vasilis Vasilikos eignen sich für Putins Regime höchstens als ehrliche Selbstbe- schreibung. Geschildert wird darin ein korrupter Staat, der die Opposition im Land mit Gewalt unterdrückt. Mehr als mit blut- leeren Zombies könnte Putin wahrscheinlich mit Nietzsches «Zarathustra» anfangen. Der Text hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg das Image einer Kriegsbibel, die man mit an die Front nahm.
Imagerettung kommt für dich, liebes «Z», von der Slogan-verliebten deutschen Band Tocotronic. Nur einen Monat vor Kriegsbe- ginn hatte sie das Album «Nie wieder Krieg» herausgegeben. Der wesentlich ältere Song «Im Zweifel für den Zweifel» ist eine Ode an alle Z-Wörter und ein Aufruf zu zivilem Ungehorsam: «Im Zweifel für den Zweifel / Das Zaudern und den Zorn / Im Zweifel fürs Zerreissen / Der eigenen Uniform».