Auf leisen Sohlen zum Superstar

7. May 2017

Sneaker Einst auf Funktionalität getrimmt, hat sich der unscheinbare Sportschuh über mehrere Jahrzehnte zum Lifestyleund Sammelobjekt gewandelt. Seine Fans hypen nicht nur den Schuh, sondern zelebrieren sogar das Schuheputzen.

Auf leisen Gummisohlen hat er sich in unseren Alltag geschlichen: Der Freizeit- und Sportschuh, wegen seiner geräuschlosen Gummiunterlage auch Sneaker( englisch für heranschleichen) genannt.

Spätestens seit es zwischen Freizeit und Beruf keine klare Trennlinie mehr gibt, tragen uns diese Schuhe überall hin. Mit dem Businessanzug und mit dem Seidenkleid haben sie in den letzten Jahren oft geflirtet. Der ehemalige deutsche Aussenminister Joschka Fischer lief mit ihnen schon 1985 ins Ministeramt.

Der ursprünglich für Basketball- und Footballprofis gedachte Sportschuh, mit dem die New Yorker Hip-Hop-Szene in den 1970ern ein Statement gegen das Establishment setzte – für die Betonung der eigenen Individualität verschönerte man seine Schuhe mit Bemalungen –, hat sich im 21. Jahrhundert in ein modisches Accessoire verwandelt. Sportartikelhersteller wie Adidas oder Nike machen damit ein Milliardengeschäft. Neben den üblichen Turnschuhträgern gehört zu ihrer treuen Anhängerschaft auch ein Teil der Weltbevölkerung, der sich Sneakerheads nennt. Diese Menschen bauen riesige Sneakersammlungen auf, opfern dafür manchmal ein ganzes Zimmer in ihrer Privatwohnung. Dieses Wochenende treffen sie sich in Zürich an der Messe Sneakerness, die europaweit Ableger hat.

Kommerzialisierung einer Subkultur

«We make a good team, my Adidas and me.» Mit diesen Worten hatte 1986 die US-amerikanische Hip-Hop-Band Run DMC ihr Adidas-Schuhwerk gehypt. Ein Jahr zuvor war in den Staaten ein Modell auf den Markt gekommen, das die öffentliche Wahrnehmung von Sneakers grundlegend verändern sollte. Nike lancierte mit Basketballlegende Michael Jordan den «Nike Air Jordan 1».

Es war der Beginn der Kommerzialisierung einer Subkultur, in der laut der auf Mode spezialisierten Soziologin Yuniya Kawamura Kategorien wie Rasse und soziale Schicht plötzlich jegliche Geltung verloren. Den bisherigen Höhepunkt dieser Kommerzialisierung findet sich in dem, was der St.Galler Rapper CBN 30 Jahre nach dem Adidas-Statement von Run DMC ein bisschen nüchterner formuliert: Wozu Sneakerblogs eröffnen, befragt er im Song «Chüelschrank» seine Generation. Und rappt: «Üse Geischt esch öpe s’einzig limitierte i däm Schueh».

Mitgedacht ist da die Strategie der Sportartikelhersteller, mit limitierten Schuheditionen den Markt auszuhungern, was Fans nächtelang vor Läden campieren lässt oder Computerserver beim Bestellvorgang zum Absturz bringt. Im Internet werden die Sneakers auf Blogs, Youtube-Kanälen und Online-Sneaker-Börsen zur Modesensation und zum Sammelobjekt erklärt. Weil sich bei diesem Kult alles um ein Objekt dreht, und nicht mehr um die Ideologie einer Subkultur, deren modische Ausdrucksform der Sneaker ist, scheint es für Aussenstehende, als werde hier der Konsum in seiner Reinform gefeiert. Den Wunsch nach individuellem Selbstausdruck kompensieren die Firmen, indem sie ihren Kunden die Möglichkeit bieten, ihre Schuhe im Internet selbst zu gestalten.

Doch die Sneakersammler agieren auf dem Markt längst nicht nur als Konsumenten, sondern auch als Verkäufer. Sie beziehen begehrte Modelle mehrfach, um sie teuer weiterzuverkaufen und veröffentlichen auf Blogs ausführliche Marktanalysen.

Schuhe putzen gehört plötzlich zum Lifestyle

«Kein anderer Bereich in der Modeindustrie ist so schnelllebig und kompetitiv wie die Sneaker-Produktion«, schreibt Kawamura in ihrer Publikation «Sneakers: Fashion, Gender, and Subculture ». Alles Neue wird zelebriert. In der Szene pflegt man seine Schuhe, bis man ihnen das Alter nicht mehr ansieht, oder präsentiert seinen Kauf auf Instagram noch in der Schuhschachtel. Vlogger erfinden auf Youtube so profane Dinge wie das Schuhputzen neu, indem sie ihre Schuhe vor ihren Followern mit speziellen Bürsten bearbeiten und mit Pflegeshampoos einseifen.

In den USA oder in Grossbritannien gibt es Läden, die auf Sneaker-Reinigung spezialisiert sind. Andere zersägen im Forscherdrang Schuhe, um die darin verborgene und von den Herstellern gehypte Technologie freizulegen. Genauso wichtig wie der Blick in die Zukunft scheint aber die Bewahrung des Alten. Vergangene Modelle werden auf dem Markt neu lanciert. Geschäfte tauschen auf Wunsch die Sohlen gut erhaltener Retromodelle aus.

Dass die Szene männlich dominiert ist, erkennt man laut Yuniya Kawamura am Marketing der Hersteller. Wie in der Autowerbung sprechen aus den Namen der Sneakermodelle Aktivität und technologischer Fortschritt. Gehypt werden die Produkte ausnahmslos von männlichen Sportlern und Rappern wie Kanye West. Kawamura sieht in der Sneaker-Kultur deshalb den Versuch des Mannes, das weiblich dominierte Feld der Mode auf seine Art zurückzuerobern. Sergio Muster (35), seit bald zwei Jahrzehnten Sammler, Mitgründer und Leiter der Sneakerness, der grössten Sneakermesse Europas, bestätigt: «Es sind vor allem Männer, die den Schuhen hinterherjagen», sagt er. Für weibliche Sammler bietet der Sneakermarkt weniger Modelle. Muster hat seine Schuhsammlung in den letzten Jahren von 800 auf 600 reduziert und sammelt neuerdings Kinderschuhe für seinen potenziellen Nachwuchs. Das Beispiel des Berners steht symptomatisch für die faszinierende Zukunftsgerichtetheit einer Szene. Die wandelbare Identität der Sneakerheads drückt sich aus in anpassungsfähigen Schuhsammlungen.