Wenn Politiker Theater machen

Imagepflege Mutti, Don Quijote, Pferdeflüsterer oder Rambo: Politiker schlüpfen gerne in Rollen aus Theater und Film. Doch die strenge Ästhetik der Polit-Bühne setzt der Selbstinszenierung Grenzen.

Als Juso-Präsident rauchte Politiker Cédric Wermuth einst an der Delegiertenversammlung der SP einen Joint – vor laufender Kamera. Viel Schall und ein Rauchzeichen, das sich für ihn gelohnt hat. An den Grund für die Aktion erinnert sich heute niemand mehr. Doch die Rolle des Polit-Rebellen war Wermuth danach auf Jahre sicher.

Im grösseren Stil haben ihm diese Selbstprofilierung mächtige Staatsmänner vorgemacht. Der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt verharrte einst kniend vor dem Ehrenmal der Helden des Warschauer Ghettos. Hatte die spontane Geste 1970 noch einige irritiert, ist der Kniefall von Warschau heute Symbol für die deutsch-polnische Versöhnung.

Chruschtschows Schuhnote

Nicht immer haben Politiker bei ihren Selbstinszenierungen auch die Regiehoheit. Bis heute hält sich die Meinung, der ehemalige sowjetische Regierungschef Nikita Sergejewitsch Chruschtschow habe an einer UNO-Vollversammlung mit seinem Schuh aufs Rednerpult gehämmert. Auch wenn Historiker heute skeptisch sind: Die Schuhnote an seinem Namen wurde er nie wieder los.

Würden Politiker nicht von Zeit zu Zeit ins Rampenlicht treten, nähme man an, sie hätten nichts zu tun. Dabei schmieden Politiker im Konjunktiv andauernd Zukunftspläne. In der Wandelhalle, an Gipfeltreffen und hinter vorgehaltener Hand. Doch ebenso wie der Theatergänger von den Proben nie etwas mitbekommt, dringt aus dem Backoffice der Politik selten etwas ungefiltert zu uns heraus.

«Politiker inszenieren Mini-Dramen, um die Öffentlichkeit über die im Verborgenen stattgefundenen Entscheidungen und Vorgänge zu informieren», sagt der Kulturwissenschaftler und Schauspieler Christoph Lutz-Scheurle, der sich mit Kanzlerdarstellungen im deutschen Fernsehen auseinandergesetzt hat.

Dass Politiker dabei noch stärker dem Verdacht der Täuschung ausgesetzt wären als Schauspieler, sei kein Wunder: «Die Öffentlichkeit verbindet den Begriff der Inszenierung mit Verstellung oder gar Täuschung. Damit machen sich Politiker prinzipiell bei jedem Auftritt verdächtig», so Lutz-Scheurle. Wer «Polit-Theater!» ausruft, will damit keine Bewunderung zum Ausdruck bringen, sondern seine Verärgerung über Täuschungsmanöver.

Und noch einer Herausforderung müssen sich Politiker in der Öffentlichkeit stellen: Zu jeder Inszenierung gibt es eine Gegeninszenierung. Wer in einer Talkshow sitzt, streitet sich mit dem politischen Kontrahenten um die Deutungshoheit. Da mit Würde glaubwürdig zu bleiben, ist eine Kunst für sich.

Merkel: die «Lindenstrasse»-Mutti

Es gibt Politiker, die sich immer wieder neu erfinden. Andere nicht: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa setzt auf die Marke Merkel. Mit ihrer Rauten-Geste und den bunten Blazern wurde sie zur Kultfigur. Merkel spielt auf dem politischen Parkett die pragmatische Mutti. Im Notfall hat sie immer eine Lösung parat. Als Idealbesetzung käme sie noch am ehesten für die Rolle der Mutter Helga Beimer aus der deutschen Vorabendserie «Lindenstrasse » in Frage.

Merkel ist aber auch eine Instinktpolitikerin und wäre auch im Schillerschen Drama «Maria Stuart» als deren Gegenspielerin Elisabeth I. keine Fehlbesetzung. Und weil sie bisher alle ihre männlichen parteiinternen Konkurrenten aus dem Weg geräumt hat, hat sie auch mit der männermordenden Uma Thurman aus «Kill Bill» etwas gemein. Nur agiert Merkel mit Diplomatie und weniger blutig.

Silvio Berlusconi: die Rampensau

Die Bühne der Politik besitzt eine strenge, formelhafte Ästhetik, das Drehbuch gibt wenig Handlungsspielraum. Kein Wunder, fallen da die Rampensäue auf. Etwa Silvio Berlusconi. Der war immer für einen Theaterskandal gut. Etwa, als er auf einem Gruppenfoto einen spanischen Kollegen mit der «mano cornuto», dem Handzeichen für den gehörnten Ehemann, veräppelte.

Lutz-Scheurle sagt denn auch: «Politikerpersönlichkeiten schöpfen heute nicht mehr aus dem klassischen Theaterrepertoire. Heute nutzt man die Bildsprache der Popkultur.» Der kalifornische Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger und der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan konnten als Schauspieler sogar auf eigene Filmzitate zurückgreifen.

Und als US-Präsident G. W. Bush den zweiten Irakkrieg auf einem Flugzeugträger beendete, wähnte man sich in der Filmkulisse von «Top Gun». Wenn Kremlchef Wladimir Putin sich in seiner Freizeit in freier Wildbahn ablichten lässt, ist er mal einsamer Cowboy, mal ist er «Pferdeflüsterer». In der Weltpolitik hängt er hingegen den «Rambo» raus.

Varoufakis: «Ein Mann sieht rot»

Der Grat zwischen wirkungsvollem Charakterschauspiel und schlechter Show ist schmal. Das sieht man nirgendwo besser als an der Griechenland-Krise, die in den Medien als griechische Tragödie eine zusätzliche Dramatisierung erfährt. Der zurückgetretene griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hielt nichts vom klassischen Polit-Theater, aber viel vom Regelbruch.

«Varoufakis gab lieber den starken Mann, der seine Regelbrüche moralisch begründet. Er ist eine Art Charles Bronson im Film ‹Ein Mann sieht rot›», sagt Lutz-Scheurle. Ein Outlaw, der sich gegen die vereinbarten Inszenierungsregeln stellt.

Im Zweiergespann mit Premier Alexis Tsipras testete er nach dem Good-cop/ Bad-cop-Prinzip die Grenzen des Spiels aus. Zum Angriff aufs Establishment gehörte das Hemd über der Hose ebenso dazu wie der akademische Duktus des Belehrens, der undiplomatische Mittelfinger und das gefährliche Lächeln mit der gesenkten Stirn eines Raubtiers, das zum Angriff ansetzt.

«Dass Varoufakis einen erheblichen Inszenierungsaufwand betreiben musste, findet Lutz-Scheurle bemerkenswert. Bei seinem Rücktritt düste der in Ledermontur gekleidete Varoufakis mit dem Motorrad – dem Freiheitssymbol schlechthin – aus dem Amt. Auch wenn er politisch versagt hat: In seiner Rolle habe er auf der Politbühne ausgezeichnet funktioniert, so Lutz-Scheurle. Ein Internet-Kommentator meinte zu seinem Rücktritt denn auch sinngemäss: «Mehr Don Quijote als Herakles.»

Der Schweizer Regisseur Milo Rau ist bekannt dafür, dass er politische Ereignisse auf der Bühne nachspielt. Er sagt: «Die fast schon technokratische Undurchdringlichkeit à la Merkel/Hollande funktioniert in der politischen Kommunikation unserer Tage besser als die Punkgeste eines Yanis Varoufakis.» Die Unangepassten spuckt das System anscheinend schneller wieder aus.

Aus Spiel wird politischer Ernst

Aber es geht auch anders, wie ein Beispiel aus Island zeigt: Inmitten der Finanzkrise hatten dort 2010 die Anarcho- Surrealisten die Macht ergriffen. Die Künstlergruppe um den Komiker Jon Gnarr hatte Wahlkampf aus Jux betrieben – und wurde vom Volk ins Rathaus gewählt. Dort blieb Gnarr bis 2014 Bürgermeister. Und machte im Amt nicht mal eine schlechte Figur.